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Komponist Helmut Schmidinger im Interview mit Morgana Petrik

„… keinem Gedanken Glauben schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung …“ • Am 3. März 2022 bringt der Wiener Concert-Verein im Rahmen seines Zyklus‘ im Wiener Musikverein Helmut Schmidingers neues Konzert für Multiperkussion und Streichorchester zur Uraufführung. Wir haben vorab mit dem Komponisten gesprochen und spannende Einblicke in Werk und Entstehung gewonnen.

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„… keinem Gedanken Glauben schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung …“

Am 3. März 2022 bringt der Wiener Concert-Verein im Rahmen seines Zyklus‘ im Wiener Musikverein Helmut Schmidingers neues Konzert für Multiperkussion und Streichorchester zur Uraufführung. Wir haben vorab zum Konzert, für das die ÖGZM Patin steht, mit dem Komponisten gesprochen und spannende Einblicke in Werk und Entstehung gewonnen.

Du hast 2019 ein Flötenkonzert für Erwin Klambauer komponiert, und kürzlich ein Konzert für Multiperkussion und Streichorchester für Christoph Sietzen. Für die Uraufführung beider zeichnet der Wiener Concert-Verein (WCV) verantwortlich. Wie kam es zu dieser engen Beziehung mit dem WCV?

Mit diesem Orchester verbindet mich eine jahrelange Freundschaft, die ursprünglich aus meinem Veranstalterleben erwachsen ist und noch vor meine Zeit als Leiter der Welser Abonnementkonzerte zurückgeht. Meine Vorgängerin Trude Kranzl hat den WCV regelmäßig nach Wels eingeladen. Dies hat sich unter meiner Intendanz fortgesetzt, weil mich die inhaltlich-programmatische Ausrichtung des Orchesters unglaublich begeistert: Der WCV kombiniert stets neue österreichische Musik und traditionelle österreichische Musik, ohne ästhetische Einschränkungen. Auch hatte ich das Glück, in der Saison 2005/06 Composer-in-Residence des Orchesters zu sein. Während dieser Residency entstand unter anderem „Das letzte Kapitel“, ein Doppelkonzert nach einem Text von Erich Kästner, das der WCV im Dezember 2005 mit Christian Altenburger als Violin-Solisten, Julia Stemberger als Sprecherin und Krzysztof Penderecki am Dirigentenpult im Musikverein zur Uraufführung brachte.

Du scheinst – insbesondere, wenn der WCV involviert ist – ein Faible für das Komponieren von Instrumentalkonzerten zu haben?

Ein Solokonzert zu schreiben ist immer eine spannende Herausforderung, weil es den großen Themenkomplex des Einzelnen und der Masse betrifft. Wie verhält sich der Einzelne zur Gesellschaft, und wie die Gesellschaft zu einem Einzelnen? Das ist ein Thema, das mich grundsätzlich fesselt, und das auch in diesem Schlagwerk-Konzert wieder eine neue Facette erfährt: Wie geht man miteinander um, wer übernimmt welche Rolle?

Verrätst Du uns ein wenig über die Rolle des Schlagwerks im Multiperkussion-Konzert?

Ich komme aus einer großen Schlagwerker-Familie. Mein Onkel war Schlagzeuger bei den Wiener Philharmonikern, mittlerweile ist mein Cousin Schlagwerker in diesem Orchester, ein anderer Onkel hat in Deutschland ein Schlagzeug-Studio aufgebaut. Ich bin, was dieses Instrumentarium betrifft, also erblich vorbelastet. Es war schon lange mein Wunsch, ein Stück für Perkussion und Orchester oder Streichorchester zu schreiben. Es war für mich durchaus reizvoll, mich im Instrumentarium beschränken zu müssen. Bedingt durch die Größe der Bühne im Brahms-Saals lautete die Vorgabe, dass das Schlagwerk in etwa so viel Platz wie ein Konzertfügel einnehmen dürfe, nicht mehr. Auch bin ich kein Freund von Schlagwerk-Stücken mit schier unendlich vielen Instrumenten, bei denen der Solist von einem zum nächsten eilt, um da und dort jeweils einen Klangtupfer anzubringen. Mir war es wichtig, mich auf wenige Instrumente zu beschränken und diese dafür eingehender zu kombinieren und zu entdecken.

„… keinem Gedanken Glauben schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung …“, so der Titel des Konzerts. Gilt dieses Philosophen-Wort auch für Deine kompositorischen Gedanken?

Ich übe mein Gewerbe „ambulant“ aus. Ich komponiere nicht im Sitzen, das kann ich nicht, ich komponiere im Gehen. Wenn mir das Durchschreiten des Hauses dafür nicht genug ist, steige ich auf mein Rennrad. Bei diesem Konzert sind sozusagen zwei Rennradler am Werken: Solist Christoph Sietzen ist ebenso Rennfahrer wie ich. Im Winter, wenn es zu kalt zum Fahrrad fahren ist, mache ich Ski-Touren oder gehe wandern. Bewegung ist für mich eine Grundbedingung zum Komponieren. Der Kompositionsauftrag für ein Schlagwerk-Konzert war der ideale Anknüpfungspunkt, dieses Zitat, das mich schon sehr lange begleitet, für mich aufzuarbeiten und künstlerisch umzusetzen.

Wie sehen Deine nächsten kompositorischen Pläne aus?

Auch in meinem nächsten Stück spielt Christoph Sietzen eine Hauptrolle: Das Festival „Dialoge“ der Internationalen Stiftung Mozarteum hat mich vor zwei Jahren mit einer Komposition für Schlagzeug solo beauftragt, die das letzte Festival hätte eröffnen sollen. Ich hatte bereits begonnen, das Stück zu schreiben, als infolge von Covid-19 das Festival abgesagt und für zwei Jahre eingestellt wurde. Da ich mir damals nicht vorstellen konnte, das Stück fertigzustellen, ohne zu wissen, wann es tatsächlich uraufgeführt wird, existiert der zweite Teil dieses Stückes noch nicht. Jetzt aber soll es zur Vollendung gelangen. Dann schreibe ich zwei Kammermusik-Werke für historische Instrumente für das Ensemble Castor, mit dem ich Anfang Oktober – so es Corona erlaubt – zur Uraufführung in New York reisen werde. Diese hätte bereits voriges Jahr stattfinden sollen. Mithin habe ich noch nicht zu komponieren begonnen. Nach der Uraufführung des Schlagwerk-Konzerts ist es dann aber so weit: Die Stücke sollen jeweils in etwa 10 Minuten dauern, und sowohl für sich allein als auch gemeinsam in einem Programm stehen können. Es ist meine Intention, so etwas wie kommunizierende Werke zu schreiben. Darin besteht auch ein Konnex zum Schlagwerk-Konzert: Zwischen dessen vier Sätzen gibt es drei sogenannte „Spatiola“, kleine Räume, in denen das Geschehen des vorangegangenen Satzes reflektiert wird. Erste Ansätze dazu finden sich schon im Flötenkonzert. Dieser Akt des „Raum-Schaffens“ innerhalb eines Stückes, um sozusagen kurz aus dem Geschehen auszusteigen und eine kleine Reflexionszeit zu erfinden und einzuschieben, tritt seither immer deutlicher hervor. Im Grunde wird damit ja auch Zeit gewonnen, nämlich zusätzliche Zeit zu den vier Sätzen. Das Schöne am Komponieren ist ja, dass wir mit Zeit arbeiten. Und wenn es einem dann gelingt, Zeit zu gewinnen oder Zeit zu schaffen, so ist das heute, wo alles so unglaublich hektisch ist, schon etwas Besonderes.

Danke für das Interview, ich freue mich auf die Uraufführung!

Mehr über Helmut Schmidinger erfahren Sie auf der Website des Komponisten: www.helmutschmidinger.at

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