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En plus: Komponist Thomas Daniel Schlee im Interview mit Morgana Petrik

Vorab zur Aufführung des Streichorchesterwerks »Jiggs« am 4.8. durch den Wiener Concert-Verein bittet die ÖGZM dessen Komponisten Thomas Daniel Schlee zum Interview.

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Vorab zur Aufführung des Streichorchesterwerks »Jiggs« am 4.8. durch den Wiener Concert-Verein bittet die ÖGZM dessen Komponisten Thomas Daniel Schlee zum Interview.

Thomas Daniel Schlee | Foto: Helge Bauer — Mit besonderem Dank an den Musikverlag Doblinger

Herr Dr. Schlee, “Jiggs” op. 48 entstand im Jahr 2000 als Auftragskomposition des Wiener Concert-Vereins; das Stück wurde im selben Jahr in Tallinn uraufgeführt. Was hat Sie seinerzeit dazu veranlasst, eine Tanzform als Grundlage für ihre Komposition zu wählen?

T. D. Schlee: Ich wollte mich von der ausgelassenen Bewegung und den verschiedenen Akzentuierungen, die die Gigue bereithält, anleiten lassen, eine unmittelbare Wirkung auf Spieler und Hörer zu erzielen. Hinzu kam der mich seit langer Zeit faszinierende (auch durch das Beispiel von Peter Maxwell Davies mir nahegebrachte) Aspekt des „in die Natur Musizierens“, wie dies bei den Fiddle-Spielern von so großer Bedeutung ist.

Das Publikum vertraut auch den wagemutigen Intendanten, wenn es spürt, dass sie von Begeisterung und Überzeugung geleitet werden.

Sie haben ja bereits eine langjährige Beziehung zum Wiener Concert-Verein, dessen Composer in Residence sie in der Saison 1997/98 waren. Welche Zusammenarbeit mit diesem Kammerorchester war für Sie besonders fruchtbar?

T. D. Schlee: Die Präsentation mehrerer meiner Orchesterwerke und sogar einer Kantate im geliebten Brahms-Saal war für mich schon deshalb sehr kostbar, weil es mir – wenn freilich auch nur für eine begrenzte Zeit – davon zu träumen erlaubte, meine Musik werde irgendwann einmal von der in der Regel punktuellen Rezeption in eine Art „Repertoire“ übergehen. Ich war jung…
Geblieben ist mir die dankbare Erinnerung an das so engagierte Spiel des Wiener Concert-Vereines und es war mir eine außerordentliche Freude, dass das Orchester zu meinem 60. Geburtstag meine herausfordernde „Sonata da Camera“ wieder ins Programm genommen hat.

Bis vor einigen Jahren waren Sie auch als Organist tätig. Heuer am 24.9. wird Ihnen für die 2019/20 entstandene Komposition „Bild und Gleichnis – Sechs Betrachtungen der Heilsgeschichte für Orgel op. 92“ der Kirchenmusikpreis der Stadt Saarlouis verliehen. Hat die Orgel für Sie auch als Komponist stets eine zentrale Rolle gespielt, oder hat sich der auf der Orgelmusik liegende Schaffensschwerpunkt eher durch entsprechende Kompositionsaufträge ergeben?

T. D. Schlee: Wenn ein Komponist ein Instrument auf konzertantem Niveau beherrscht, so ergibt es sich zunächst von selbst, dass er die sich ihm darbietenden Möglichkeiten – klanglich wie technisch – ausgiebig in eigenen Werken ausschreiten will. Nach vielen Jahren, in denen ich mich dann stark der Orchester- und Vokalmusik zugewandt habe, kam zu meiner großen Freude plötzlich die junge Generation der Organisten und Organistinnen auf mich zu; ich bin deshalb in letzter Zeit ziemlich regelmäßig mit der Arbeit an Stücken für und mit Orgel beschäftigt. Manchmal lohnt sich das Warten…

Thomas Daniel Schlee | Foto: Helge Bauer

Sie blicken nicht nur auf ein reichhaltiges kompositorisches Œuvre, sondern auch auf eine jahrzehntelange Tätigkeit als künstlerischer Leiter von Musikinstitutionen und -festivals zurück. Hat sich Ihrer Erfahrung nach der Anteil von Gegenwartsmusik an den Programmen positiv entwickelt, oder entspricht dieser nach wie vor einem „Feigenblatt”?

T. D. Schlee: Wenn wir unseren Blick auf die etablierten Häuser und Festivals richten, so bleibt die zeitgenössische Musik, aber auch der ungeheuer reiche, weite Schatz des „historischen“ Repertoires, häufig bloß Ausnahme. Wenige Leiter solcher Institutionen (die aber doch die Säulen unseres Musiklebens darstellen) haben echte künstlerische Kenntnis, geschweige denn inhaltliche Ambitionen. Die wirtschaftlichen Zwänge haben zugenommen, aber ich halte dem entgegen, was ich selbst wiederholt erleben durfte: Das Publikum vertraut auch den wagemutigen Intendanten, wenn es spürt, dass sie von Begeisterung und Überzeugung geleitet werden.

Woran scheitert es Ihrer Ansicht nach, dass es für die zeitgenössische Musik offenbar keinen so großen Publikumszuspruch gibt wie andere Kunstrichtungen der Gegenwart, etwa Malerei oder Tanz?

T. D. Schlee: Besonders bei der Malerei ist dies frappant. Nun hängen die zeitgenössischen Bilder in den Büros der Industriebosse oft hinter diesen, und die Gesprächspartner müssen ja nicht hinsehen. Ein Buch kann behende weggelegt werden etc. Im Konzert muss man ausharren, das türenknallende Verlassen des Saales ist rar geworden. Kurz: Musik braucht Zeit, und sie hat ihre Zeit – sie ist in jedem Falle ein forderndes Gebilde. Sind die Bilder bewegt (etwa im Tanz), so werden die Sinne mehrfach gereizt; auch erscheint mir die Kodifizierung der gesehenen Bewegung ohne viel Mühe entschlüsselbar. Aber das Problem der Annahme neuer Musik ist auch mit einem Phänomen unserer Zeit verbunden: Es wird postuliert, dass Kunst von möglichst vielen möglichst leicht rezipierbar sein muss. Das war nie so und wird nie so sein. Der intrinsische Anspruch der Kunst geht viel tiefer. Es wird uns viel liebender Fleiß abverlangt.

Es wird postuliert, dass Kunst von möglichst vielen möglichst leicht rezipierbar sein muss. Das war nie so und wird nie so sein. Der intrinsische Anspruch der Kunst geht viel tiefer.

Wie beurteilen Sie die Tendenz, Festivals für Gegenwartskunst unter jeweils aktuelle sozialpolitische Motti zu stellen?

T. D. Schlee: Rasch sind allerlei Masken zur Hand, um einer Veranstaltung den Anschein der Zeitgeistigkeit zu geben. Erstens ist Zeitgeistiges allzu häufig läppisch, zweitens äfft es nach. Ich frage: Wo stellt man die Fragen, bevor sie von den anderen formuliert werden? Doch auch hier soll daran erinnert werden, dass die entscheidenden Fragen in der Kunst aus ihr selbst kommen und wieder zu ihr führen. Elitär? Wieder bloß ein Schlag-Wort. Kunst hat ihren Anspruch auf das Absolute.

Welche Pläne haben Sie für die nächste Zeit?

T. D. Schlee: Antwort eines Eremiten: noch zwei Symphonien schreiben, währenddessen und dazwischen Kammermusik, Instrumentalwerke, Vokalmusik, gerne schriebe ich noch ein szenisches Werk… Für wen? Für mich – in der stillen Hoffnung, dass mir dereinst meine Werke nachfolgen mögen.

Thomas Daniel Schlee (*1957 in Wien) studierte Orgel bei Michel Radulescu und Jean Langlais, Komposition bei Olivier Messiaen und Francis Burt sowie Musikwissenschaften in Wien und Paris. Neben seiner internationalen künstlerischen Tätigkeit als Organist und Komponist war er künstlerischer Leiter des Brucknerfests in Linz, Musikdirektor des Brucknerhauses und langjähriger Intendant des Carinthischen Sommers. Seine Werke sind bei Doblinger und Bärenreiter erschienen.

„Thomas Daniel Schlee zählt ohne Zweifel im Bereich der Neuen Musik seit Jahren zu den prägendsten und international gefragtesten Persönlichkeiten in Österreich. Als Organist bereiste der gebürtige Wiener nahezu ganz Europa und trat als Solist bei zahlreichen bedeutenden Festivals auf. Ebenfalls bereits mehrfach ausgezeichnet wurde er für seine Tätigkeiten im Rahmen von  Rundfunkproduktionen. Auch als Komponist geniesst Thomas Daniel Schlee, dessen  schöpferischer Fokus vor allem auf der Orchester- und Kammermusik liegt, weit über die heimischen Grenzen hinaus höchstes Renommee […].“

mica-Musikmagazin: Der Österreichische Kunstpreis 2010 in der Sparte Musik geht an Thomas Daniel Schlee (mica, 2011)

Am 4. August 2023 bringt der Wiener Concert-Verein sein Werk »Jiggs« in Bregenz zur Aufführung.

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