Categories
Aktuelles En plus Webmag

En plus: Ricordarsi

Hannah Eisendle und Anna Sushon sind die beiden Pianistinnen und zugleich Dirigentinnen in Gerd Kührs Werk für Klavier zu vier Händen und Streichorchester. Der Wiener Concert-Verein präsentiert am 7.10.2025 das 2002 uraufgeführte Werk im Wiener Musikverein. Wir sprachen im Vorfeld der Wiederaufführung mit den beiden Solistinnen.

Diesen Artikel teilen:

Hannah Eisendle und Anna Sushon sind die beiden Pianistinnen und zugleich Dirigentinnen in Gerd Kührs Werk für Klavier zu vier Händen und Streichorchester. Der Wiener Concert-Verein präsentiert am 7.10.2025 das 2002 uraufgeführte Werk im Wiener Musikverein. Wir sprachen im Vorfeld der Wiederaufführung mit den beiden Solistinnen.

Hannah Eisendle und Anna Sushon | Foto: © UnisonShot

Gerd Kührs Werk für Klavier zu vier Händen und Streichorchester wird vom Klavier aus dirigiert. Fühlt man sich darin auch als Interpretin an ein barockes Concerto grosso erinnert?

Anna Sushon: Ja, durchaus. Wobei es in »Ricordarsi« eher ein Wetteifern der Klavierspieler miteinander als mit dem Orchester ist.

Hannah Eisendle: Auch wenn sich Ricordarsi auf vergangene Formen bezieht, versuche ich als Interpretin immer, mit frischen Augen an ein Werk heranzugehen. Das Spannende ist hierbei einerseits der Dialog zwischen Streichorchester und Klavier, wobei das Orchester eine unterstreichende und unterstützende Rolle einnimmt, andererseits aber besonders der Bezug der Pianistinnen aufeinander, hier findet das wahre Mit- und Gegeneinander statt.

Das traditionelle Concertoprinzip, also das Wetteifern zwischen zwei Protagonisten, nämlich der Solistengruppe und dem Tutti, sehe ich hier auch auf einer anderen Ebene manifestiert: Die für die Werke Gerd Kührs so typische Stringenz und kompositorische Ernsthaftigkeit wird erquicklich kontrapunktiert durch theatralische Effekte, die nicht ihre Wirkung verfehlen. Wie geht ihr interpretatorisch mit diesem Kontrast zwischen Zwölftonreihen und Tischtennisbällen um?

HE: Das Werk bezieht sich ja doppelt auf die Vergangenheit, auf die Zeit des Concerto grosso ebenso wie auf moderne Kompositionstechniken ab 1945. Meiner Meinung nach ist es hohe Kunst, wenn ein Werk zum genauen Zuhören wie auch vereinzelt zum Schmunzeln anregt.

Es erfordert höchste Konzentration, in den Streichinstrumenten verschiedenste für die Moderne typische Techniken sowie Lust auf theatralische Einlagen und choreographische Abläufe – ich liebe derartige Herausforderungen. Wieso soll ein Stück nur ernst oder komisch sein? Kann nicht zu viel Ernst sehr schnell ins Komische übergehen und umgekehrt?

AS: Ich finde die theatralischen Akzente immer gut, auch ein barockes Concerto grosso kann und soll theatralisch sein. Wofür stehen bzw. sitzen wir auf der Bühne wenn nicht für das Theatermachen? Zwölftonreihen können auch sehr erfrischend lustig sein …

“Dies [der theatralisch inszenierte Schlussakkord, Anm.] wiederum lockerte die sauertöpfischen und etwas versteinerten Mienen der zahlreich geströmten Verwandtschaft der Vereinsmitglieder rasch auf, sodass Kühr, Professor an der Grazer Musikuni und derzeit Composer in Residence beim Concert-Verein, heiter gestimmte Bravi einfahren konnte.” schrieb Beate Hennenberg im STANDARD zur Uraufführung von Ricordarsi. Können wir uns also auf einen Haydnspaß freuen?

HE: Genau darum geht es mir, um den fließenden Wechsel und Austausch zwischen Sauertopf und Schmunzelei.

AS: Ich will nichts verraten …

Foto: © UnisonShot

Die eng ineinandergreifenden Figuren im VI. Satz (quasi una serenata) – nicht alleine im Hinblick auf das Zusammenspiel am Klavier, sondern auch auf das Ping Pong-Spiel zwischen Klavier und Streichern durch schnell wechselnde Taktarten hindurch – sind (proben)technisch herausfordernd. Wie löst ihr das dirigentisch vom Klavier aus?

AS: Es ist ein wahres Ballett, meine Partitur ist voll von »Fuß weg«, »links rutschen«, »Finger schnell runter« und dergleichen Anmerkungen. Das abwechselnde »Dirigat-Pas-de-deux« haben wir uns vor dem Probenbeginn choreographiert, jetzt geht es um das Üben.

HE: Hier handelt es sich tatsächlich um eine Choreographie, meine Partitur ist voll von von mir eingetragenen grünen, blauen und roten Anweisungen wie »Fuß«, »Aus dem Weg«, »schnell aufstehen« und so weiter. Diese Akrobatik des schnellen Wechsels zwischen Klavierspielen und Dirigieren bereitet mir besonders viel Freude.

»Quasi una fantasia«, »Quasi un solo«, »Quasi un’ aria«, »Ricordarsi« – Gerd Kührs Satzbezeichnungen und der Werktitel deuten an, zeigen auf Vergangenes hin; auch die Musik selbst folgt dem Pfad der Erinnerungen (neben den bereits erwähnten Bezügen zur Barockmusik finden wir toccatenartige Kadenzen, nocturnartige graue Clustertexturen, oder einen Trauermarsch voller verblichener Klänge). Muss man als Interpretin noch einmal extra auf solche Bezüge hinzeigen (quasi mit dem Finger) oder übergebt ihr uns die Geschichte der Klänge ganz ohne theatralisches Vorlesen?

AS: Ich mag nicht unbedingt das Fingerzeigen – im Theater zeigt man auch nicht immer auf eine Uhr wenn man von Uhren spricht. Der Zuhörer soll Platz haben für eigene »quasi-Erinnerungen« …

HE: Mir ist es wichtig, dem Publikum einen gewissen Freiraum zu lassen, um assoziieren und sich eigenständig erinnern zu können. Natürlich arbeite ich bestimmte Facetten heraus beziehungsweise manche Strukturen sind tief im musikalischen Verständnis verankert. Neben den Erinnerungen von Gerd Kühr, sowie denen von Anna Sushon, meinen und denen der Orchestermusiker*innen, gibt es aber noch die Erinnerungen und Assoziationen der einzelnen Personen im Publikum, die genauso relevant sind.

Letzte Frage: Habt ihr eine Lieblingsstelle in diesem Stück? Worauf sollen oder könnten wir besonders achten, wenn wir das Stück noch nicht kennen?

HE: Die Melodie im dritten Satz »Quasi un’ aria«, die zuerst vom Klavier gespielt und dann von Solokontrabass und Solovioline wiederholt wird. Aber mein Highlight ist besonders das Wetteifern mit Anna am Schluss.

AS: Mein Favorit ist das Bratschen-Solo im dritten Satz. Und wenn Sie das Stück noch nie gehört haben – gehen Sie mit uns auf diese wunderbare Erinnerungsreise.

Herzlichen Dank für Das Interview!
(Red./chr)

Konzerthinweis:
Wiener Concert-Verein
Dienstag, 7.10., 19:30 Uhr
Brahms-Saal, Wiener Musikverein

Werke von Maconchy, Kühr, Strauss, Boulanger und Britten.

Karten und Programm

Diesen Artikel teilen: